Gefährlich breit

Autos werden immer grösser, breiter und schwerer. Forderungen der Velofahrenden nach besseren Radwegen mit dem Argument des fehlenden Platzes abzutun, ist daher dreist.

Nicole Soland

Nicole Soland, Autorin
Kommentar, 16.11.2022

Als ich kürzlich vom Balkon auf die viel befahrene Strasse runterschaute, sah ich eine Ente. Also keine lebendige, sondern eine, die auch auf den Namen «Döschwo» hört.

Als ich klein war, gehörte dieses Auto zusammen mit dem «Käfer» und dem «Cinquecento» zum gewohnten Strassenbild. Nun ist es bekanntlich normal, dass einem nicht nur Personen, sondern auch Fahrzeuge umso kleiner vorkommen, je grösser man wird.

Doch der Anblick der Ente, mitten auf der Durchfahrtsstrasse in der Grossstadt, brachte mich ins Grübeln: Einst war die Ente kein kleines, sondern ein ganz normales Auto. Was ich aber nun auf der Strasse sah, glich eher einem Spielzeugautöli, so viel schmaler, niedriger und kürzer als die Autos vor und nach ihm, richtig herzig!

Und vor allem: Rechts neben diesem Döschwo hätte ich mit dem Velo nicht nur problemlos fahren können, sondern erst noch mehr Platz gehabt als den gefühlten halben Meter, mit dem einem moderne Autos allzu oft überholen.

Ja, die ewige Debatte um den Platz, den es in der Stadt fürs Velo «leider» nicht habe, bekommt eine andere Dimension, wenn man die Abmessungen moderner Autos mit dem vergleicht, was vor 50 Jahren üblich war.

Und es ist nicht etwa so, dass früher prinzipiell nur eine Person pro Auto unterwegs war, im Gegenteil: Als wir mal bei Verwandten zu Besuch waren und vor lauter gemütlichem Beisammensein den letzten Zug verpassten, fackelte ein Onkel nicht lange. Er setzte sich ans Steuer seines Döschwos. Mein Vater sass auf dem Beifahrersitz, meine Mutter, meine drei Schwestern und ich teilten uns die Rückbank, und los gings.

«Die ewige Debatte um den Platz, den es in der Stadt fürs Velo leider nicht habe, bekommt eine andere Dimension, wenn man die Abmessungen moderner Autos mit dem vergleicht, was vor 50 Jahren üblich war.»

Wie viel grösser sind eigentlich Velos in den letzten 50 Jahren geworden? Abgesehen von den Lastenvelos haben hauptsächlich jene mit Motor zugelegt, jedoch weniger bei den Abmessungen als beim Gewicht.

Einige Lenker sind etwas breiter geworden, ansonsten aber sind heute viele Velos leichter und wendiger als früher. Womit der Fall klar sein müsste: Es hat wahrscheinlich nicht mal mehr Autos in der Stadt als früher, aber sie werden immer breiter, länger, höher und schwerer.

Und es ist deshalb ziemlich dreist, ausgerechnet die Velofahrerinnen und Velofahrer, die um ihre Sicherheit fürchten und sich deshalb mehr Velowege wünschen, mit dem Argument des fehlenden Platzes stets weiter zu vertrösten. Warum sollen sich jene, die in den letzten Jahrzehnten in jeder Hinsicht immer dominanter geworden sind, nach wie vor ungestört ausbreiten dürfen? Sollte es nicht an ihnen sein, etwas Platz zu machen?

Nun ist es unrealistisch, von der Autoindustrie oder von den Autofahrenden Selbstbeschränkungen irgendwelcher Art zu erwarten. Umso mehr muss endlich auch in der Schweiz fürs Überholen ein Mindestabstand von eineinhalb Metern Pflicht werden. Und das gerne möglichst bald!