Die Überfliegerin

Sandra Schmied gewann vor drei Jahren bei den Schweizer Berufsmeisterschaften in der Kategorie Fahrradmechaniker. Letztes Jahr siegte sie auch beim Europacup der Zweiradberufe in Tschechien. Wir trafen sie in Zürich.

Pete Mijnssen ist Chefredaktor des Velojournals.

Pete Mijnssen, Chefredaktor (pete.mijnssen@velojournal.ch)
17.09.2021

Sie kommt direkt von Guggisberg aus dem Berner Mittelland und ist zum ersten Mal in Zürich. Anlass ist ein Besuch der Cycle Week, wo sie sich mit der früheren Schweizer Kunstturnerin Ariella Käslin zu einem Videodreh trifft und befragt wird.

Für Aufsehen sorgte Sandra Schmied vor drei Jahren, als sie die Konkurrenz bei den Berufsmeisterschaften hinter sich liess und die Goldmedaille holte. Letztes Jahr doppelte sie auf europäischer Ebene nach. Mittlerweile hat sie ihre Lehre als Velomechanikerin beendet und beim Lehrbetrieb Thömus in Thörishaus gleich eine Stelle erhalten.

«Nach dem Sieg bei den Swiss Skills wollten sie mich natürlich nicht gehen lassen und haben mir ein gutes Angebot gemacht», lacht sie schelmisch. Der Betrieb umfasst insgesamt rund 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Standorten in Thörishaus, Oberried, Bern und Zürich. In Thörishaus werden die Velo aufgebaut, in der Werkstatt von Oberried ist Sandra Schmied auch für die Lehrlingsausbildung zuständig.

Nach der Lehre liess sich Schmied direkt zur Werkstattleiterin weiterbilden, im Moment ist sie an einer Weiterbildung zur Berufsbildnerin. Damit könnte sie dereinst auch an der Berufsschule unterrichten. Dieser Weg war nicht vorgezeichnet: In der 6. Klasse wurde sie von der Lehrerin als «blöd» bezeichnet. Worauf sie die Realschule (Sek B) besuchte, obwohl es notenmässig auch für die Sekundarschule gereicht hätte.

«Ich sagte mir: Lieber eine gute Realschülerin als eine vielleicht nicht so gute Sekschülerin», erklärt Schmid lachend. Nach einer Schnupperwoche bei Thömus wurde ihr gleich eine Lehrstelle angeboten. Und nachdem sie die Swiss-Skills-Meisterschaft gewonnen hatte, kam ihre ehemalige Primarlehrerin zu ihr, um zu gratulieren.

Der Profi ist eine Frau

Der Beruf Velomechaniker hat immer noch das Image eines Männerjobs; auch in der Berufsschule waren nur drei Frauen unter den 21 Lernenden. Bei Thömus war Schmied die erste Velomechanikerin überhaupt. «Die meisten Kandidaten, die sich für Lehrstellen bei uns bewerben, sind tatsächlich noch immer männlich. Bislang hat sich nur eine Frau für eine Lehrstelle interessiert», bestätigt sie.

Spielt es 2021 noch eine Rolle, ob eine Frau oder ein Mann das Velo repariert? Für den Grossteil der Kundschaft ist es kein Thema, resümiert die Mechanikerin. Zwischendurch gebe es aber immer mal Ausnahmen. «Einmal hat mir ein Kunde am Telefon gesagt, er wolle mit einem Profi sprechen. Als ich ihm gesagt habe, dass ich Velomechanikerin gelernt hätte und der Profi sei, meinte er: Ich möchte mit einem Mann sprechen.» Da mache sie sich dann schon so ihre Gedanken. Glücklicherweise komme das aber selten vor.

Wie kam sie überhaupt in diese «Männerdomäne»? Schmied erzählt vom Aufwachsen auf dem elterlichen Bauernhof. Dort habe sie von klein auf mitgearbeitet und dem Vater geholfen beim «Schrauben». Für den Beruf brauche es technisches Grundverständnis und eine handwerkliche Begabung, sagt Schmied. Nicht zuletzt mit den E-Bikes würden die heutigen Velos immer anspruchsvollere Fahrzeuge. So stehen in der Thömus-Werkstatt mittlerweile wie fast überall mehr Elektro- als normale Velos.

Knackpunkt Ausbildung

Wie wurde sie in der Berufsschule auf das Thema Elektrovelo vorbereitet? «Das Thema E-Bike kam erst am Ende der Ausbildung dran», erzählt die 21-Jährige. «Wer im Lehrbetrieb wenig mit E-Bikes zu tun hatte, hatte es bei der Lehrabschlussprüfung sicherlich schwerer», resümiert Schmied. Heute würde das Elektrovelo aber bereits eingehender behandelt.

Viel lernte sie bei der Arbeit im Betrieb. Es gefalle ihr halt, sich mal vor ein E-Bike hinzusetzen und zu schauen, was wie funktioniere. Da Thömus auch eigene Velos herstelle, habe sie schon früh die Gelegenheit erhalten, sich mit der Welt der E-Bikes zu befassen. Ihr Lehrmeister habe sie zwar anfänglich auch mal ins kalte Wasser geschmissen und gesagt: «Mach mal!» Von ihm aber lernte sie, dass es für alles eine Lösung und auf jede Frage eine Antwort gibt.