Die Nachhaltigkeit von Velorahmen

Velos gelten als umweltfreundlich. Die Analyse der Rahmenmaterialien offenbart aber Unterschiede bei der Ökobilanz. Stahlrahmen haben den kleinsten Fussabdruck, Carbon schneidet schlechter ab.

Fabian Baumann, Redaktor (fabian.baumann@velojournal.ch)
12.11.2024

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Die Themen Ökologie und Nachhaltigkeit haben in der Velobranche lange Jahre eine untergeordnete Rolle gespielt. Schliesslich stellt sie ein Produkt her, das per se als umweltfreundlich gilt. Und für das Velofahren als Form der Fortbewegung stimmt diese Aussage auch. Etwas differenzierter stellt sich die Ausgangslage aber dar, wenn das Fahrrad als Produkt betrachtet wird. Moderne Velos bestehen aus einer Vielzahl von Komponenten. Im Folgenden schenken wir dem grössten und augenfälligsten Teil, dem Rahmen, eine vertieftere Betrachtung. 

Während etwa hundert Jahren war Stahl vorherrschend bei der Herstellung von Velorahmen. In den 90er-Jahren wurde der Werkstoff nach und nach von Aluminium abgelöst. Auf Alu folgte Carbon. Bei vielen modernen Elektrovelos, Mountainbikes oder Rennvelos kommt heute Carbon als Rahmenmaterial zum Einsatz. Neu hingegen sind Velorahmen aus Kunststoff, wie sie etwa die Marken Advanced oder Lion Bikes im Angebot haben. 

Die Umweltverträglichkeit variiert stark

Das Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt und Energie hat die Umweltverträglichkeit von Velorahmen untersucht. Dabei wurden vier Indikatoren miteinander verglichen: Wasserverbrauch, Treibhausgaspotenzial, Material- und Energieaufwand. Die Auswertung zeigt, dass aus ökologischer Sicht Stahlrahmen den kleinsten Fussabdruck hinterlassen. Am schlechtesten schneidet Carbon als Werkstoff ab. Zu einem ähnlichem Ergebnis kommt eine Studie, die Veloplus bei den ETH Juniors in Auftrag gegeben hat. Der Schweizer Versandhandelspionier wollte für sein nachhaltiges Velo «Cumpan» ermitteln, welches Material für den Rahmen den kleinsten Fussabdruck hinterlässt. Laut der Studie werden von der Rohstoffgewinnung bis zur Fertigstellung eines Rahmens aus Aluminium im Vergleich zu Stahl 6-mal mehr CO2-Äquivalente ausgestossen. Im Fall von Carbon sogar 9-mal mehr. 

Was die Herstellung betrifft, scheint Stahl aus Sicht der Umwelt die klar beste Wahl zu sein. Zudem ist das Material langlebig und verhältnismässig leicht zu reparieren. Doch wie steht es um die Wieder­verwertung des Rahmenmaterials? Das Recycling von Stahlrahmen ist nicht so simpel, wie man meint. Der Grund dafür ist, dass Velorahmen in der Regel nicht aus sortenreinem Stahl, sondern aus Legierungen bestehen. Das führt dazu, dass im Zuge des Wiederverwertungsprozesses aus Stahlrahmen am Ende qualitativ minderwertigerer Baustahl und nicht ein neuer Rahmen wird.

Albert Herresthal, Gründer und Geschäftsführer des deutschen Informationsdiensts Fahrradwirtschaft (IFW), sagt in einem Artikel des Branchenmagazins «Cycl­info»: «Aluminium braucht zwar deutlich mehr Energie zur Herstellung als Stahl, lässt sich aber relativ einfach und reiner recyceln.» Je nachdem, ob man bei der Nachhaltigkeitsrechnung den Fokus mehr auf die Herstellung des Materials oder seine Recycling-Möglichkeiten legt, schneidet Aluminium entsprechend besser oder schlechter ab als Stahl.  

Kein Kreislauf mit Kohlefasern

Beim Faserverbundwerkstoff Carbon sieht die Sache anders aus. Wer der Meinung ist, dass Carbonrahmen bei einer Beschädigung nicht repariert werden können und darum Sondermüll sind, der irrt zwar. Das beweist Reto Bieri. In seinem Geschäft Bieri Bike Care in Steffisburg hat der Berner schon Hunderte von Carbonrahmen repariert und den Velos damit ein längeres Leben beschert. Falsch ist auch die Annahme, dass Carbonrahmen grundsätzlich nicht recycelt werden können. 

«Doch egal, ob Stahl oder Kunststoff: In der Gesamtschau ist das Velo kein Null-Emissionen-Fahrzeug. Dennoch dürfte es – und das gilt auch für das E-Bike – unter dem Strich das nachhaltigste Fahrzeug sein.»

Richtig ist hingegen, dass es mit dem Carbonrecycling so eine Sache ist. Die Rückgewinnung der Kohlefasern ist ein aufwendiger Prozess. Bei spezialisierten Unternehmen werden Carbonrahmen im Pyrolyseverfahren hoch erhitzt. Der Harzkleber wird dabei aufgespalten und geht in Gas über. Zurück bleiben die reinen Carbonfasern. Diese Fasern werden an die kunststoffverarbeitende Industrie weiterverkauft oder für kleinflächige Teile wie etwa Sattelstützen verwendet. Von einer echten Kreislaufwirtschaft kann somit weder bei Velorahmen aus Carbon, Aluminium noch Stahl gesprochen werden. Besonders dediziert drückt sich Michael Braungart, Professor für Chemie und Verfahrenstechnik an der Erasmus-Universität Rotterdam, aus: «Carbon ist vom Umweltgesichtspunkt her eine Zumutung.»

Kunststoff – geschreddert und recycelt

Hier kommen Hersteller wie Advanced ins Spiel. Das auf E-Bikes spezialisierte deutsche Unternehmen hat 2022 das Modell «Reco» auf den Markt gebracht. Der Name steht für «Recycled Composite», also recycelter Verbundwerkstoff. 40 Prozent des Rahmenmaterials besteht aus recyceltem Verbundwerkstoff aus der Autoindustrie, 60 Prozent aus einem «Hochleistungskunststoff». Das Material wird als Granulat im Spritzgussverfahren zu einem Rahmen geformt. Wenn der Rahmen nicht mehr gebraucht wird, kann er geschreddert und das Material wiederum für neue Rahmen verwendet werden. 

«Carbon ist vom Umweltgesichtspunkt her eine Zumutung.»

Michael Braungart, Professor für Chemie und Verfahrenstechnik an der Erasmus-Universität Rotterdam

Und wie steht es um die Reparierbarkeit des Rahmens? Martin Birrer, Schweizer Country Manager von Advanced, sagt: «Wir geben grundsätzlich 30 Jahre Garantie auf den Rahmen. Beträchtliche Schäden wären analog Carbon aber nur schwer zu reparieren. Der defekte Rahmen ginge somit zurück in ein Granulat, und der Kunde würde einen neuen Rahmen bekommen.» Neben Advanced setzt auch Lion Bikes auf Rahmen aus Kunststoff und recycelten Carbonfasern. Gemäss der Kindervelomarke ist die Produktion eines Lion-Rads im Vergleich zu jener eines Velos mit herkömmlichem Rahmen und Gabel aus Alu auch deutlich umweltschonender. Der CO2-Fussabdruck falle um 67 Prozent geringer aus, heisst es bei Lion Bikes. 

Doch egal, ob Stahl oder Kunststoff: In der Gesamtschau ist das Velo kein Null-Emissionen-Fahrzeug. Dennoch dürfte es – und das gilt auch für das E-Bike – unter dem Strich das nachhaltigste Fahrzeug sein. Daran wird sich so schnell nichts ändern.