Billigflug in den Lenz

Wieso hinterlässt die Klimadebatte in der Presse der Hobbyradler so wenige Spuren?

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Dres Balmer
26.03.2020

Die Lektüre von Fachgazetten im Frühling weckt Neugier und velocipedische Träumereien. Die meisten Leser sind Gümmeler, die im Oktober aufhören, draussen Velo zu fahren, weil es um die Finger klamm wird. Die Kühnsten unter ihnen bewegen sich zur Winterzeit im Vélodrome, andere spannen ihre Maschine auf den Trainingsbock, füttern den Computer am Lenker mit dem Programm Mont Ventoux oder Galibier, vollführen virtuelle Geisterfahrten. Im Winter beschert die Klimaerwärmung dem Flachland wochenlang trockene Strassen, auf denen man sicher unterwegs ist. Es gibt keinen Grund, das Velo im Schlafzimmer stehen zu lassen. Deshalb steigt seit einigen Jahren die Anzahl der winterlichen Gümmeler in erfreulichem Masse. Die positiven Auswirkungen der Erderwärmung scheinen sich langsam herumzusprechen. Zurück zu den normalen Hobbyfahrern im Vélodrome oder auf Geisterfahrt. Nach den Gelagen vom Martinstag über Weihnacht, Jahreswechsel und Ostern haben die meisten von ihnen zum Lenz hin zehn Kilo zugelegt, die Ratschläge der Fachpresse zu Diät und Leibesertüchtigung nicht viel genützt. Ohne einer Verschwörungstheorie aufsitzen zu wollen, erscheint die ganze Hobbysport-Industrie wie ein ausgeklügeltes, gut geöltes Räderwerk. Es funktioniert so: Wie geschrieben werden die Gümmeler im Winter dick, ihr Übergewicht bringt den Schwung auf das nächste Rad im Werk, und das ist die Billigfliegerei auf wärmere Inseln. Auch jetzt, im Frühling 2020, treiben die lautesten Werbetrommeln Tausende Radsportlerinnen und -aussen von ganz Europa zusammen, damit sie zwecks Gewichtsabnahme in den Billigflieger auf die Putzfraueninseln steigen.

Selbst bei Individualreisen ist es in dieser Fachpresse immer noch üblich, dass in der Rubrik Anreise zuerst der Flug angeboten wird. Die zweite Variante empfiehlt, das Velo auf das Auto zu schnallen, mit Letzterem den halben Kontinent zu durchqueren und im Hafen die Fähre zu nehmen. Die vernünftigste Kombination, Eisenbahn und Fähre, wird erst als dritte Option erwähnt; nicht einmal die Umkehrung der Reihenfolge kriegen sie hin. Den Vogel abschiessen tut ein Reisebüro, das mir eine Trainingswoche auf einer Mittelmeerinsel samt Hin- und Rückflug, Halbpension sowie Velomiete anbietet, mit folgendem Zusatz: «Treue Gäste wie Dich belohnen wir mit bis zu CHF 600.–.» Es soll also noch billiger werden. Wie geht das auf? Wenn es nicht rentierte, bekäme ich es nicht angeboten. Das Geschäft läuft weiter, um das Thema Klimaerwärmung scheint sich in dieser Branche keiner zu scheren. Solche Ignoranz wird von der schweigenden Mehrheit der Hobbysportler mitgetragen. Und jetzt das: Coronavirus. Die Billigfliegerei ist innerhalb weniger Tage im Eimer. Wie lange? Ein halbes, ein ganzes Jahr, für immer? Wir sind an einer Zeitenwende.