Beinahe positiv

Noch selten war es so schwierig, Ferien zu planen. Zwar wissen wir spätestens seit letztem Jahr, welch schöne Orte es in der Schweiz gibt. Aber sind Reisen ins Ausland wieder möglich?

Pete Mijnssen ist Chefredaktor des Velojournals.

Pete Mijnssen, Chefredaktor (pete.mijnssen@velojournal.ch)
Spezial, 04.02.2021

Zuweilen kommt es einem in diesen Pandemiezeiten vor wie beim Ostereiersuchen im Garten. Alle Verstecke sind gefunden – und wir sind überrascht, wie gut verborgen die farbigen Dinger direkt vor unseren Augen waren. Ähnlich ist es wohl vielen ergangen, als sie letztes Jahr mit dem Velo unterwegs waren und dem bundesrätlichen Motto «Machen Sie Ferien in der Schweiz» folgten. Vieles liess sich da entdecken, versteckte Juwelen wurden gefunden, die Schweiz wurde neu erlebt. All diese Erlebnisse können aber ein Gefühl nicht verdrängen: das Fernweh.

Selten war das Bedürfnis so gross, endlich wieder einmal einen Sprung über die Grenze zu wagen. Vielleicht ans Meer zu fahren, fremde Pässe zu erklimmen, in einem französischen Bistro zu sitzen oder feine italienische Pasta zu geniessen – ohne einschränkende Massnahmen. Zwar gibt es in den sozialen Netzwerken auch jetzt Bilder von Prominenten, die sich am Strand räkeln und vor dem Sonnenuntergang mit einem Cocktail in der Hand Selfies machen. Das wird entsprechend kontrovers kommentiert, denn was vor Corona vulgäre Normalität war, liegt für Normalsterbliche noch in weiter Ferne.

Drastischer Einbruch wegen Corona

Dennoch zeugt eine Umfrage, die Velojournal bei Reiseanbietern und Tourismusorganisationen gemacht hat, von vorsichtigem Optimismus. Zwar betonen alle Antwortenden, wie stark sie von den Ereignissen im letzten Jahr betroffen waren. So kam der Markt laut Chris Schnelli von Bike Adventure Tours praktisch völlig zum Erliegen, da 70 Prozent der angebotenen Destinationen ausserhalb Europas liegen. Bei den Europareisen machte einem dann die Quarantäneliste des Bundesamts für Gesundheit einen Strich durch die Rechnung. Die grosse Verunsicherung und das Auf und Ab sorgten für weitere Absagen.

Ähnlich erging es Twerenbold Reisen. «Wir konnten lediglich in den Monaten Juli bis Oktober Reisen durchführen», erklärt der Geschäftsleiter André Wildberger. Zudem wurde vollständig auf Flug­reisen verzichtet. Die Anreise, vorwiegend ins angrenzende europäische Gebiet, erfolgte mit Bussen. Im Nachbarland Österreich fielen aufgrund des Lockdown bis Mitte Juni Kurzferien über die verlängerten Feiertagswochenenden weg, wie Carmen Breuss von Österreich Tourismus erklärt: «Der restliche Sommer entwickelte sich vor allem bei Inländern und Gästen aus dem Nahbereich hingegen sehr gut.» Dennoch verzeichnete Österreich von Mai bis Oktober einen Rückgang bei den Übernachtungen von knapp 32 Prozent.

«Gemäss Buchungsstand stehen Veloreisen auch im laufenden Jahr wieder hoch im Kurs.»

André Wildberger, Geschäftsleiter Twerenbold Reisen

Trotz epidemiologischer Entwicklung und momentanem Lockdown hofft die Branche, dass mit den geltenden Restriktionen die Infektionszahlen sinken. Die wärmere Jahreszeit und die steigende Anzahl von Geimpften sollen dabei helfen. So bietet Twerenbold wieder die gesamte Palette an. Das sind in erster Linie Reisen für klassische Velos und E-Bikes. Das touristische Angebot umfasst sowohl Ziele in Europa, die mit dem Bus erreicht werden, als auch Direktflüge an die Destinationen mit Weitertransport per Bus vor Ort.

«Gemäss Buchungsstand stehen Veloreisen auch im laufenden Jahr wieder hoch im Kurs», sagt Wildberger. Und schon fast übermütig mutet die Aussage von Bike Adventure Tours an: «Unsere erste Reise in diesem Jahr führt Ende Januar mit einer kleinen Gruppe nach Tansania, wo wir den Kilimanjaro mit dem Bike umrunden und ihn dann anschlies­send zu Fuss erklimmen werden», kündigt Schnelli an. Solche «Befreiungsschläge» sollen das Vertrauen der Kunden zurückbringen.

Outdoor und Radfahren im Trend

Der Trend zu Aktivitäten in der freien Natur – auch in den Ferien – wird sich fortsetzen, davon ist man überzeugt. DACH-Managerin Breuss: «Die Menschen sehnen sich nach Ferien, nach Abwechslung, Bewegung in der freien Natur, neuen Erlebnissen und einzigartigen Erfahrungen abseits von grossen Menschenansammlungen.» Zwar rechnen die österreichischen Tourismusanbieter pandemiebedingt auch weiterhin mit sehr kurzfristigen Buchungen. Sie reagieren mit flexiblen Stornobedingungen und konzentrieren sich gezwungenermassen auf Inland- und Nahmärkte. Dort orten die Österreicher aber grosses Potenzial für den nachhaltigen Tourismus.

«Sobald die Grenzen wieder aufgehen, wollen auch unsere Kunden wieder reisen.»

Chris Schnelli, Bike Adventure Tours

Gästebefragungen vom vergangenen Sommer belegen die Popularität von Outdoor-Sportarten, speziell Radfahren. Aber wie werden Hotellerie und Gastronomie dastehen, wenn wieder normalere Verhältnisse einkehren? Breuss beurteilt die aktuelle Situation ganz besonders für die Hotellerie als «äusserst herausfordernd». Sie hofft, dass mit Unterstützung der öffentlichen Hand die betroffenen Betriebe wirtschaftlich überleben können. Sonst könnten die Nachwirkungen verheerend sein. Dabei spielen die (lockeren) Schweizer Pandemiebestimmungen eine vergleichsweise untergeordnete Rolle. Vielmehr schaut Österreich gebannt auf die Quarantäneauflagen in Deutschland, denn von dort kommt die Hälfte der Touristen.

Gruppenreisen im Trend

Chris Schnelli, der seine Firma vor 30 Jahre gründete, glaubt nach wie vor daran, dass Velo- und Bikereisen in die entlegensten Regionen der Welt in Zukunft wieder möglich sein werden: «Sobald die Grenzen wieder aufgehen, wollen auch unsere Kunden wieder reisen. Viele können es jetzt schon kaum erwarten, wieder vom Velo aus die Welt aktiv zu erfahren.» Die zahlreichen Destinationen könnten zudem nicht so einfach auf eigene Faust mit dem Bike bereist werden, etwa wenn man die Landessprache nicht beherrscht und nicht unbegrenzt Zeit zur Verfügung hat. Vielleicht würden in Zukunft mehr Menschen in kleineren Gruppen reisen, gibt Schnelli zu bedenken.

Bleibt noch der Blick in den eingangs erwähnten einheimischen Garten. Für Simon Brülisauer von der Herzroute brachte das letzte Jahr beim Radwandern mit Elektrovelos vor allem in ländlichen Gebieten «einen enormen Boost». Aus diesem Grund schaut auch er optimistisch in die bevorstehende Radwandersaison. Mit ordentlich «neuem Schwung» soll im Frühling eine neue Strecke mit zwei Tagesetappen lanciert werden. Da diese von ihrer Form her der Zahl 8 gleicht, wird sie die Nummer 899 tragen. Die Eröffnung soll im Rahmen eines grösseren Projektes erfolgen, des sogenannten «Hügu Himu». Dieses will die Positionierung des Emmentals als «Top E-Bike-Destination» festigen.

All diesen optimistischen Prognosen zum Trotz hat die EU unlängst die Pandemiebestimmungen verschärft. Zwar will man erneute Grenzschliessungen vermeiden, aber auch die neuen Ampelzonen versprechen keine rasche Lockerung, im Gegenteil. Es wird zuerst wieder schlimmer, bevor es dann in der zweiten Jahreshälfte besser wird. Hoffentlich.