Auf Abschiedstour

Der Schweizer Radprofi Michael Albasini hätte sich an der Landesrundfahrt verabschieden wollen. Corona machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Deshalb wurde es ein intimeres Adieu.

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Emil Bischofberger
30.06.2020

Der Gemeindepräsident von Lachen steht an diesem Dienstagvormittag Anfang Juni pünktlich bereit. Schliesslich verabschiedet man nicht alle Tage einen Profisportler Richtung Ruhestand. Michael Albasini lauscht den blumigen Worten des Politikers Pit Marty, nimmt den Gutschein für die Übernachtung im besten Hotel des Dorfs entgegen, lächelt fürs gemeinsame Foto und macht sich dann auf die dritte Etappe der Tour de Suisse. Spätestens jetzt wird auch dem Zuschauer klar, dass hier etwas nicht stimmt. Denn mit Albasini rollen nur zwei weitere Radprofis los: Stefan Küng und Silvan Dillier. Sie tun es für Albasini, den mit Jahrgang 1980 ältesten Schweizer Radprofi. Eigentlich hatte der Ostschweizer die Tour de Suisse als Schlusspunkt seiner Karriere geplant. Doch der Lockdown warf die Pläne über den Haufen, spätestens als die Tour de Suisse abgesagt wurde.
Einen stillen Abgang Albasinis wollte sein Berufskollege Küng allerdings nicht hinnehmen. «Es kann doch nicht sein, dass ‹Alba› um seinen Abschied gebracht wird!», sagte sich Küng. Kurzerhand begann er zu organisieren: Schon bald war «Albas Tour de Suisse» geboren – und Albasini vom Plan seines Kollegen begeistert.

Anekdoten im Regen

Der Kern der Idee: Albasini bestreitet die Tour de Suisse 2020 wie geplant. Die ganze Woche begleitet von Küng – und für einzelne Etappen mit immer wechselnden Profikollegen und weiteren Gästen. Die Details organisierte Albasini dann höchstpersönlich. Dazu gehörte auch sein Wunsch, die Familie bei diesem speziellen Abschied dabeizuhaben. Darum stehen in Lachen zwei Wohnmobile am improvisierten Start – es ist für die Woche die Unterkunft der Albasinis. Im einen Wagen logiert Michael Albasini mit Familie, im anderen seine Eltern. Und auch die Schwester ist mit dabei. Vater Marcello steuert überdies das Begleitauto hinter dem Sohn. Küng gönnt sich jeweils in den Etappenorten ein Hotelzimmer.
Die dritte Etappe beginnt garstig: Der Regen wird intensiver, die Nässe ist schon bald in die tieferen Kleidungsschichten vorgedrungen. Die Laune lassen sich die Profis davon nicht verderben. Es wird gescherzt, alte Tour-de-Suisse-Anekdoten reminisziert, der Streckenplaner David Loosli verflucht, als man realisiert, dass dieser für ein paar zusätzliche Höhenmeter noch einen Schlenker eingebaut hat.

Cancellara rollt spontan mit

Auf Zuger Boden rauschen plötzlich ein paar Radfahrer vorbei. Findet doch ein Radrennen statt? Nein, es sind Albasinis langjährige Weggefährten Gregory Rast und Martin Elmiger, die ein Stück mitfahren werden. Bei Morgarten wartet auch noch ein Schwyzer auf das Grüppchen: Oscar Camenzind macht seine Aufwartung. Als einstiger Mann für garstiges Wetter lässt sich der 48-Jährige natürlich nichts anmerken – auch nicht, dass er heuer deutlich weniger Radkilometer auf dem Tacho hat als die anderen Gefährten. Als die Strecke, die an diesem Tag bis ins luzernische Pfaffnau führt, Richtung Aargau dreht, verabschiedet sich die Zug-Schwyz-Fraktion – wird aber sogleich von der Luzerner Fraktion abgelöst in Person von Michael Schär und Mathias Frank.
Damit nicht genug: In Pfaffnau wartet später der halbe Nachwuchs des örtlichen Veloclubs – jedes der Kinder hat einen Jokertag in der Schule geopfert, um mit Albasini die Schlussrunde zu absolvieren. Als Bonus wartet mit ihnen ein weiterer berühmter Name: Fabian Cancellara rollt spontan ebenfalls mit.
Nach der Dusche stehen die Profis noch lange bei Kaffee und Kuchen zusammen, diskutieren und schwelgen in Erinnerungen. Sie alle geniessen diesen Moment: sich einfach austauschen zu können, ohne Zeit-, Renn- oder Trainingsdruck. Auch darum kehren viele am Wochenende nochmals zurück: In Disentis gibt Albasini am Freitagabend eine Pizzaparty. Und auch wenn es bei dieser etwas später wird: Die Samstagsetappe fällt deswegen nicht aus, genauso wenig wie die am Sonntag, als es einmal mehr wieder regnet und auf Furka, Grimsel und Susten empfindlich kühl wird. Doch «Albas Tour de Suisse» wird zu Ende gefahren. Aus Prinzip, und schliesslich sind auch Albasini und Küng froh um die Trainingskilometer, die sie in dieser speziellen Woche sammelten. Denn die Saison geht aller Voraussicht nach im August weiter. Auch für Albasini: Sein Vertrag wurde doch noch bis zum Jahresende verlängert.