Würdigung von Hanspeter Guggenbühl als Rennvelofahrer

Ende Mai wurde der profilierte Energiejournalist und Velojournal-Autor Hanspeter Guggenbühl bei einem Verkehrsunfall getötet. Eine Würdigung für einen Menschen, für den das Velo eine zentrale Rolle spielte.

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Christine Schwyn
Blog, 20.10.2021

Hanspeter war ein Zahlenmensch, und er könnte bestimmt genau beziffern, wie viele Kilo- und Höhenmeter er in seinen über 40 Rennvelojahren insgesamt in den verschiedensten Konstellationen zurückgelegt hat. Ich war mit ihm in den vergangenen zehn Jahren auf ca. 25 kürzeren und längeren Veloreisen im In- und Ausland unterwegs, meistens an seinem Hinterrad. Hinzu kamen Tagesausfahrten in verschiedenen Velo-Gruppen und um die 40 Alpenpässe, die wir je im eigenen Rhythmus bewältigten. So auch am Unglückstag.

Hanspeter war ein unternehmungslustiger, starker und leistungsorientierter Fahrer, der gerne Berge hochstürmte und auch im Flachen ein hohes Tempo anschlug. Als Pfadfinder erhielt er wohl nicht umsonst den Namen «Pfiil».

In Gruppen fuhr er meistens vorne und hielt – zu seiner Freude auch im letzten Frühling noch – mit den Schnellsten und Jüngeren mit. Neben kräftigen Beinen, einer grossen Lunge und einer guten körperlichen Konstitution hatte Hanspeter Ehrgeiz und einen starken Willen. Er sei vermutlich deshalb ein relativ angenehmer Berufskollege, weil er seinen Ehrgeiz im Sport auslebe, meinte er dazu.

Es wird noch eine Weile dauern, bis wir nicht mehr der Illusion erliegen, seine Stimme aus der schnaufenden Menge herauszuhören.

Auf zwei Zahlen, die fotografisch dokumentiert sind, war er besonders stolz: Seine längste Tagesstrecke betrug 334.55 km – von Illnau nach Illnau über den Oberalppass, gefahren mit 69 Jahren. Und die Höchstgeschwindigkeit von über 82 km/h erreichte Hanspeter bei einer langen, geraden Abfahrt. Auch bergab war er ein starker Fahrer.

In früheren Jahren mass er sich lustvoll mit Velokollegen, er liess sich – wie mir einer verriet – richtiggehend jagen. In den letzten Jahren verglich sich Hanspeter vor allem mit sich selber, mit den minutiös festgehaltenen Fahr- und Durchschnittszeiten früherer Jahre.

Um einen bestimmten Schnitt zu halten, kämpfte er sich schon mal durch den Gegenwind oder er plagte seine Beine bis zur Verkrampfung, um noch immer über 800 Höhenmeter pro Stunde zu überwinden.

Hanspeter war auf dem Velo auch ein kommunikativer und sozialer Mensch. In Gruppen suchte er den Kontakt und das Gespräch mit den Mitradelnden.

So verbissen dieses Verhalten klingen könnte: Hanspeter war auf dem Velo auch ein kommunikativer und sozialer Mensch. In Gruppen suchte er den Kontakt und das Gespräch mit den Mitradelnden. Er interessierte sich für sie, neckte sie, diskutierte und plauderte selbst bergauf fröhlich weiter, wenn andere schon längst um Luft rangen.

Es wird noch eine Weile dauern, bis wir nicht mehr der Illusion erliegen, seine Stimme aus der schnaufenden Menge herauszuhören.

Zuweilen kümmerte sich Hanspeter auch um jene, die nicht vorne mithalten konnten. Er wartete, bis der Letzte nach der Pause seine Siebensachen gefunden hatte, er gab Windschatten, er führte einen wieder ans Feld heran oder er begleitete das Schlusslicht und motivierte zum Durchhalten.

Für Hanspeter war das Velo nicht nur Sport-, sondern auch Alltags- und Reisegerät. Eine Veloreise begann für ihn im Kopf. Im Wechselspiel von Sehnsüchten nach einer Landschaft und dem Studium von Landkarten heckte er jeweils Tourenvarianten aus und verband diese optimal mit seinen Kenntnissen des Bahnverkehrs.

Mit leichtem Gepäck – d.h. mit einer Garnitur für die Fahrt tagsüber und einer für den Abend – gings für 1-2 Wochen auf die Reise. Zwischen Nizza und La Spezia dürfte es nicht viele Strässchen vom Hinterland ans Meer geben, die er nicht befahren hat. Auch in der Toscana, der Basilicata, im Cilento und in vielen anderen Regionen kannte er sich gut aus.

Umweltschonendes Verhalten, wie es Hanspeter beruflich postulierte und privat umsetzte, lebte er auch beim Velofahren: Velokleidung trug er lange und flickte sie ein paarmal, bis er sie ersetzte.

Als Verächter von Elektronik benutzte Hanspeter weder GPS noch Handy. Er hatte die Touren mit samt Gelände und Topografie grob im Kopf und trug für die Details Kartenkopien bei sich. Zuweilen navigierte ihn seine innere Karte so sehr, dass er die Wegweiser am Strassenrand übersah und sich verfuhr.

Zur Not orientierte er sich dann – ganz Pfadfinder – am Sonnenstand. Dumm nur, wenn das Kartenmaterial alt, der Sonnenstand hoch und die Landschaft flach wie die Po-Ebene waren: da konnte es schon mal sein, dass er froh um das Handy der Begleiterin und um mobile Ortungsdienste war.

Umweltschonendes Verhalten, wie es Hanspeter beruflich postulierte und privat umsetzte, lebte er auch beim Velofahren: Velokleidung trug er lange und flickte sie ein paarmal, bis er sie ersetzte. Er fuhr manchmal mit ausgeleierten Velohosen sowie mit Wollsocken und sprang auf keine Sport-Modetrends auf. Manch ein Kollege mokierte sich über sein eigenwilliges Outfit. Auch flickte Hanspeter kaputte Veloschläuche, jedenfalls bevor es selbstklebende Flicks gab, die nicht mehr hielten.

Ein neues Rennrad kaufte sich Hanspeter erst, wenn er für das alte eine neue Verwendung fand. Und einen Karbonrahmen leistete er sich erst, nachdem er den Leistungsunterschied zu den Kollegen mit den leichteren Rädern zu deutlich zu spüren bekam.

Hanspeter fuhr manchmal mit kalkuliertem Risiko. Wie viele Velofahrende hielt er sich nicht immer an die Verkehrsregeln. So entstand die neue Ampelfarbe «Guggenbühlgrün».

Dass Hanspeter sein Leben bei der Ausübung einer seiner Leidenschaften verlor, ist ein kleiner Trost.

Am Unglückstag aber rollte Hanspeter gemächlich und korrekt mitten in seiner Fahrspur bergab Richtung Aigle. Er wollte mir wegen des Seitenwindes Windschatten geben. Es ist die brutale und ungerechte Ironie des Schicksals, dass er in einer an sich risikoarmen Situation von einem jungen, unerfahrenen Mann mit dem Motorrad umgefahren wurde.

Dass Hanspeter sein Leben bei der Ausübung einer seiner Leidenschaften verlor, ist ein kleiner Trost. Tröstend sind auch seine häufigen Aussagen, er habe ein gutes Leben und viel Glück gehabt. Dennoch: Hanspeters plötzlicher Tod hinterlässt eine Lücke, die noch lange schmerzen wird!

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