«Autos in der Stadt bald verboten?» schreit es zurzeit von Schweizer Wänden. Ein junger Mann mit einem Nuggi und ein traurig blickender Dackel illustrieren Plakate mit verschiedenen Sujets. Dahinter steht der Gewerbeverband, der mehr Eigenverantwortung – und weniger staatliche Bevormundung fordert.
Aufgeschreckt wurde dieser durch einen Beschluss in Genf. Dort hatte der Gemeinderat im September 2022 ein Verbot für kommerzielle Werbung auf öffentlichem Grund erlassen. Das Verbot ist seit zwei Jahren in Kraft und 132 von 172 Plakatwänden wurden demontiert. Unternehmen und Privatpersonen erhoben jedoch Beschwerde. Im letzten Jahr wies das Bundesgericht die Beschwerden ab. Ein ähnlicher Vorstoss der Alternativen Liste AL wurde im Zürcher Stadtparlament überwiesen. Demnach darf in Zürich künftig nur noch das lokale Gewerbe oder die öffentliche Hand Werbung machen.
«Während in den USA solche Diskussionen aus Angst vor Repressalien zurzeit oft nur noch im Versteckten geführt werden, tobt der Wertestreit um Verkehrswende, Veganismus und eben Werbeverbote hierzulande gerade so, als hätte die Welt und Europa keine anderen Probleme.»
Man kann darüber geteilter Meinung sein, auch die Kommentare auf der Kampagnen-Website sind es (darunter auch viele französischsprachige). Autoverbote, Fleischverzicht etc.: Dabei geht es im Kern um gesellschaftliche Debatten, Neudefinitionen, Wokeness im positiven Sinn. Um Anliegen, welche die Trump-Regierung gerade mit Federstrichen wegradiert. Während in den USA solche Diskussionen aus Angst vor Repressalien zurzeit oft nur noch im Versteckten geführt werden, tobt der Wertestreit um Verkehrswende, Veganismus und eben Werbeverbote hierzulande gerade so, als hätte die Welt und Europa keine anderen Probleme.
Lastenvelo als Symbol der verhassten Verkehrswende
So liess es sich NZZ-Chefredaktor Eric Guyer an der Generalversammlung vor einer Woche nicht nehmen, vor versammelten, meist graumelierten Aktionären gegen Wokeismus im allgemeinen, die links-grüne Stadtregierung im speziellen, den Nannystaat überhaupt und die aufgeblähte Bürokratie zu wettern. Einmal mehr musste das Lastenvelo als Symbol der verhassten Verkehrswende hinhalten.
Der Schenkelklopf-Moment war ihm auf Nummer sicher. Das launige Elaborat war dann im Blatt ein paar Tage später in voller Länge nachzulesen, illustriert mit einem älteren Critical-Mass-Foto von der Hardbrücke in Zürich. Inzwischen darf die Critical Mass in der Limmatstadt nur noch mit Bewilligung rollen und auch nicht mehr über die Hardbrücke. So kam die Rede, die ein paar Tage später schon schwer Patina angesetzt hatte, zudem teilweise faktenfrei daher. Helvetia, oder Zürich hast du noch andere Probleme, ja – möchte man Richtung Falkenstrasse rufen.
«Einmal mehr musste das Lastenvelo als Symbol der verhassten Verkehrswende hinhalten.»
Fast zeitgleich wurde in der Limmatstadt eine neue Autofrei-Initiative lanciert. Möglichst keine Autos mehr soll es geben, dafür mehr Bäume, Grünflächen, Spielstrassen. Die Stadtbewohner will man mit Parkplatz-Entzug zum richtigen Verhalten anhalten.
«Zürich-autofrei», das kennen wir doch? Das war die Juso-Initiative, die 2020 vom Bundesgericht für ungültig erklärt wurde. Nun wird ein weiteres Volksbegehren mit praktisch identischem Inhalt lanciert. Die Verkehrswende-Initiative will «den motorisierten Individualverkehr deutlich reduzieren, um Platz für mehr Lebensqualität, Sicherheit und Klimaschutz zu schaffen» und das «Stadtgebiet grossflächig möglichst autofrei» machen.
Im Gegensatz zu «Züri-autofrei» ist der Text nun aber mehr als allgemeine Anregung formuliert. Die Stadt solle sich «so weit als möglich» für die Verkehrswende «einsetzen». Diese Formulierungen schlössen eine Kollision mit übergeordnetem Recht aus, so die Initiantinnen und Initianten.
Auf den Böögg folgt immer der 1. Mai
Zuweilen kommt es einem bei den laufenden Debatten an der Limmatstadt vor wie mit dem Sechseläuten und dem 1. Mai. Zuerst dürfen die Bürgerlichen vor dem Bööggverbrennen wieder mal richtig die Sau rauslassen und ein paar Tage später geht das Spiel in umgekehrter Richtung mit den Nachdemos los. Es ist das ewige Spiel der Bevölkerung rechts und links der Limmat, das so sicher ist wie das Amen in der Kirche. Da soll noch jemand sagen, in Zürich sei nix los.