Simon Bischof
Blog,
10.06.2022
Vor einem Jahr wurde der profilierte Journalist und passionierte Velofahrer Hanspeter Guggenbühl bei einem tragischen Verkehrsunfall getötet. Grund für eine Gedenkfahrt auf zwei Rädern.
Simon Bischof
Blog,
10.06.2022
«Fällt Pfingsten ins Wasser?», titelt die NZZ. Für Sonntag sind Gewitter, Hagel, Sturm und Regen angesagt. Mit C. plane ich eine Gedenkfahrt für den vor einem Jahr oberhalb von Aigle tödlich verunglückten Hanspeter Guggenbühl, den ich als Journalist und von einigen gemeinsamen Veloausflügen gekannt habe.
C., seine Velo-Freundin und Mitbetroffene auf der verhängnisvollen Tour, sagt ab, sie möchte den Ort des Schreckens nur bei sicheren Witterungsbedingungen wieder aufsuchen.
Auf der Zugfahrt nach Visp überlege ich, wann und wie ich Hanspeter kennengelernt habe. Das muss beim Freipass-Anlass auf der Furka gewesen sein, also im Sommer 2007.
Hanspeter bot verschiedenen Medien an, eine Woche vor dem Anlass und dann während unseres Anlasses über den Furkapass zu fahren und so quasi eine Vergleichsstudie zu machen. Keine Redaktion interessierte sich dafür.
In Visp empfängt mich strahlender Sonnenschein bei fast wolkenlosem Himmel. Ich kombiniere die Gedenkfahrt mit einer Befahrung der Moosalp, die heute auf der Stalden-Seite im Rahmen der «Ride the Alps»-Serie beziehungsweise der Nachfolgeveranstaltung «Climb the Giants» motorfahrzeugfrei ist.
«Er hat nicht geantwortet, aber an seinem Gesichtsausdruck konnte ich sehen, dass er meine Bemerkung überhaupt nicht lustig fand.»
Beim Hinauffahren erinnere ich mich an die Veloausflüge, die Hanspeter und ich gemeinsam mit anderen unternommen haben. Hanspeter ist jeweils voll am Limit gefahren und sass in den Pausen schweissüberströmt da.
Ich habe das nie so richtig verstanden, ist der Alltag nicht schon anstrengend genug? Einmal bei der Kapelle Ghisallo bin ich herumgegangen und habe etwas zum Knabbern angeboten, zu Hanspeter habe ich gesagt: «Du scheinst es besonders nötig zu haben.»
Er hat nicht geantwortet, aber an seinem Gesichtsausdruck konnte ich sehen, dass er meine Bemerkung überhaupt nicht lustig fand.
Auf der Passhöhe der Moosalp kommt ein Wahnsinnslärm aus den Lautsprecherboxen. Kaum hat man einmal Ruhe vor dem Motorenlärm, muss er offenbar durch einen noch lauteren Krach ersetzt werden.
Nach einer Kurzpause suche ich fluchtartig das Weite. Die Abfahrt nach Bürchen ist mühsam, schmale und steile Strasse und erst noch holprig. Diese Seite der Moosalp ist auch heute nicht autofrei und es hat nur knapp Platz zum Kreuzen.
Hanspeter Guggenbühl und Christine Schwyn auf der Albulapasshöhe. (Foto: ZVG)
Sehr schön dann die Abfahrt von Eischoll nach Turtmann, breite Strasse in bester Qualität und nicht so steil, ich kann es sausen lassen. Herrliche Blicke ins Tal und auf die gegenüberliegende Flanke mit Bietschhorn und Co., eindrücklich auch der Blick auf die Gewitterfront, auf die ich direkt zuhalte.
In Turtmann am Bahnhof sehe ich, dass ich über eine Stunde auf die nächste gute Verbindung warten muss. Zwei freundliche Frauen schauen auf ihrem Handy nach: nach Leuk mit besseren Verbindungen sind es 7.5 km.
Laut Google Maps braucht man dafür mit dem Velo eine halbe Stunde. Ich bin zwar nicht so schnell unterwegs wie Hanspeter, aber diesen Schnitt unterbiete ich schon.
«Sein Humor war leise und ironisch, eine gewisse Melancholie war nicht zu überhören. Ihm war bewusst, dass er mit seiner Kritik am ungebremsten Wirtschaftswachstum und der Ausbeutung der Natur gegen Windmühlen anschrieb.»
Kaum bin ich unter dem Perrondach am Leuker Bahnhof, geht das Gewitter los mit Sturmböen und waagrechten Regenschauern, die mich sogar unter dem Dach besprühen. In Turtmann, wo ich noch vor einer halben Stunde unterwegs war, werden bei einem Fussballturnier mehrere Zelte aus ihren Verankerungen gerissen.
Im Zug nach Aigle lese ich im Infosperber-Archiv mehrere Artikel von Hanspeter. Selbst komplexe Themen wurden von ihm für Laien wie mich verständlich präsentiert.
Sein Humor war leise und ironisch, eine gewisse Melancholie war nicht zu überhören. Ihm war bewusst, dass er mit seiner Kritik am ungebremsten Wirtschaftswachstum und der Ausbeutung der Natur gegen Windmühlen anschrieb.
Unterwegs ... (Foto: ZVG)
In Aigle dann wieder eitel Sonnenschein. Auf der Bahnfahrt nach Les Diablerets kommt auf der gegenüberliegenden Talseite bald die Galerie ins Blickfeld, oberhalb welcher der schreckliche Unfall passiert ist.
In Les Diablerets hat der Coop auch am Sonntag offen und ich finde einen passenden Strauss weisser Rosen. Eine Kerze und ein laminiertes Bild von Hanspeter habe ich schon von Basel mitgenommen.
«Der Unfallort ist eine cyclistische Wüste, eine unübersichtliche S-Kurve am Steilhang.»
Die Strasse nach Le Sepey und weiter Richtung Aigle ist holperig, beinahe fällt mir der Strauss aus der Velotasche. In Le Sepey kommen die Strassen vom Col des Mosses, Col du Pillon / Col de la Croix zusammen, es herrscht also der ganz normale starke Ausflugs- und Sonntagsverkehr.
Der Unfallort ist eine cyclistische Wüste, eine unübersichtliche S-Kurve am Steilhang. Es ist offensichtlich, dass Hanspeter keine Chance hatte, zu reagieren, als der Töff auf ihn zuraste.
Von den Bremsspuren und Markierungen der Polizei ist nichts mehr zu sehen, nichts deutet auf den tragischen Vorfall hin.
Ich deponiere Bild, Strauss und Kerze und mache ein paar Fotos. Eine besinnliche Stimmung will sich bei diesem Verkehrslärm nicht einstellen.
«Hätte es am Unglückstag so viel Verkehr gehabt wie heute, hätte der Töfffahrer wohl kaum zu seinem verrückten Überholmanöver angesetzt und Hanspeter wäre wahrscheinlich noch am Leben.»
Am Unfalltag, einem Mittwochnachmittag, habe es wenig Verkehr gehabt, hat mir C. erzählt. Eine wirklich traurige Ironie: Wenn wir mit dem Velo über Pässe fahren, suchen wir verkehrsarme Zeiten und Routen.
Hätte es aber am Unglückstag so viel Verkehr gehabt wie heute, hätte der Töfffahrer wohl kaum zu seinem verrückten Überholmanöver angesetzt und Hanspeter wäre wahrscheinlich noch am Leben.
Auf der Bahnfahrt nach Hause regnet es zwischen Fribourg und Bern wieder in Strömen, danach klärt es auf. Nach dem Hauensteintunnel sehe ich dunkle Wolkentürme über Basel, jetzt werde ich doch wohl hoffentlich nicht noch am Schluss …?
Nein, auch auf der Fahrt vom Bahnhof nach Hause bleibt es trocken. Hanspeter hat seine Beziehungen spielen lassen und die Wettergötter sind mir heute den ganzen Tag gnädig gestimmt.
Simon Bischof ist Präsident des Vereins FreiPass Schweiz. www.freipass.ch
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