Einige spüren den Regen, andere werden einfach nass

Hält schlechtes Wetter vom Velofahren ab? Ja. Aber weitaus weniger, als gemeinhin angenommen wird. Andere Faktoren stehen der Fahrradnutzung weitaus stärker im Weg.

Fabian Baumann, Redaktor (fabian.baumann@velojournal.ch)
Blog, 15.10.2020

Das Velo ist ein Schönwetter-Transportmittel. Sicher haben auch Sie diesen Satz schon einmal gehört oder gelesen. Allerdings verhält es sich mit ihm wie mit so manch anderer spitzen These: Sie wird nicht wahrer, nur weil sie oft wiederholt wird.

Die Mär vom wasserscheuen Radfahrer wurde unlängst von Felix Schindler in einem Artikel auf infosperber.ch widerlegt. Der Autor hat mithilfe einer Wissenschaftlerin die öffentlich verfügbaren Daten der Zürcher Velozählstellen analysiert und ihnen Messwerte der Wetterstationen der Wasserschutzpolizei gegenübergestellt.

Das Resultat der umfangreichen Auswertung: Den stärksten Einfluss auf die Velofrequenzen hat nicht das Wetter, sondern die Ferienzeiten. «Nie wird in Zürich weniger Velo gefahren als während der Weihnachtsferien», bilanziert Schindler.

Felix Schindler: «Der wichtigste Einsatzzweck des Velos ist der Weg zur Arbeit, und das bleibt auch bei Regen so.»

Bei Regen geht der Fahrradverkehr aber tatsächlich zurück. Laut Felix Schindlers Auswertung aber bei Weitem nicht in dem Masse, wie oft behauptet wird. Im Pendelverkehr am Morgen gehen die an den Zählstellen gemessenen Fahrten bei Regen um etwa 40 Prozent zurück. «Der wichtigste Einsatzzweck des Velos ist der Weg zur Arbeit, und das bleibt auch bei Regen so», konstatiert Schindler.

In eine ähnliche Richtung geht eine neue Studie aus Deutschland. Kathrin Goldmann und Jan Wessel von der Universität Münster haben Daten von mehr als 120 Velozählstellen in 30 deutschen Städten mit Wetterdaten verglichen. Ihre Arbeit mit dem Titel «Some people feel the rain, others just get wet» kommt zum Schluss, dass das Wetter nur ein Faktor unter vielen ist, der die Velonutzung beeinflusst.

Entscheidend für die Wahl des Fahrrads als Verkehrsmittel sind vielmehr auch die Bevölkerungsstruktur, die Grösse einer Stadt und etwas, was die Autoren als «Bicycle Culture» (zu Deutsch, Velokultur) bezeichnen: Je stärker das Velo in der Gesellschaft verankert ist, desto weniger Einfluss hat das Wetter auf dessen Nutzung, so die These.

«Infrastruktur und Velokultur lassen sich beeinfussen, das Wetter nicht.»

Tatsächlich zeigen Goldmann und Wessel in ihrer Arbeit auf, dass schlechte meteorologische Bedingungen in deutschen «Velostädten» wie Münster, Göttingen oder Freiburg einen geringen Einfluss auf die Fahrradnutzung haben. Demgegenüber nehmen die gemessenen Velofrequenzen in Städten wie Stuttgart oder Würzburg, wo das Zweirad eine vergleichsweise geringe Rolle als Verkehrsmittel spielt, bei schlechtem Wetter deutlich ab.

«Radfahrer in Städten mit einem höheren Anteil junger Menschen und in Städten mit einem dichteren Radwegenetz [sind] widerstandsfähiger gegen widrige Wetterbedingungen», so die Forscher.

Schlechtes Wetter mag also tatsächlich einige Menschen vom Velofahren abhalten. Haupthinderungsgrund ist es aber nicht. Das Fehlen von Radwegen und generell – von «Velokultur» – scheinen einen stärken Einfluss zu haben. Das ist eine gute Nachricht. Infrastruktur und Velokultur lassen sich beeinflussen, das Wetter nicht.

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