Bis unter die Räder bewaffnet

Der Kampf um Zürichs Strassenraum erreicht neue Dimensionen. Dabei schrecken Autofahrende nicht einmal davor zurück, Velofahrende zu verfolgen und mit dem Leben zu bedrohen. Was passiert da gerade?

Pete Mijnssen ist Chefredaktor des Velojournals.

Pete Mijnssen, Chefredaktor (pete.mijnssen@velojournal.ch)
Kommentar, 17.08.2023

Blenden wir zurück. Vor fünf Jahren verankerte das Schweizer Stimmvolk das weltweit fortschrittlichste Gesetz zur Veloförderung in der Verfassung. Vor diesem Hintergrund sind die kürzlichen Gewaltausbrüche auf Zürichs Strassen noch schwerer verständlich.

Auch hier will eine grosse Mehrheit seit Jahrzehnten mehr Velo- statt mehr Autoverkehr und dennoch erreicht der Kleinkrieg neue Dimensionen. Warten wir auf den ersten Toten, überfahren von einer ausgerasteten Person hinter dem Lenkrad? Und warum passiert dies ausgerechnet immer in Zürich, das sich doch gerne als fortschrittliches Pflaster präsentiert?

Das Versagen der Stadt Zürich

Dafür gibt es viele selbstverschuldete Gründe. Da sind zum einen die politischen Versprechen für ein durchgehendes Velowegnetz, das auch nach bald dreissig Jahren noch immer ein Flickwerk ist.

Und es gibt auf der anderen Seite bürgerliche Kreise, die den Volkswillen immer wieder hinauszögerten und mit dem Kanton einen willfährigen Gehilfen haben. So verhinderte der Regierungsrat kürzlich einen Versuch (!) an der Bellerivestrasse für eine Velospur.

«Es gibt bürgerliche Kreise, die den Volkswillen immer wieder hinauszögerten und mit dem Kanton einen willfährigen Gehilfen haben.»

Auch die Polemik um die UCI Strassen-Weltmeisterschaft, bei der zwei ehemalige Stadträte mitmischen, passt dazu. Da wird munter gegen «Cargo-Velos» gewettert, als hätte dies etwas mit dem Sport-Grossanlass zu tun. Grossanlässe notabene, mit denen Zürich ja Erfahrungen hat und sie grossstädtisch meistert: 1,5 Millionen Menschen am Zürifäscht, gegen eine Million Personen an der Street Parade in Zürich.

Am Geld fehlt es nicht

Nur auf den Strassen versagt die Limmatstadt. Am Geld für die Veloförderung kanns nicht liegen, Zürich investiert pro Kopf wohl einen der höchsten Beträge global.

Nur versickert das Geld in Massnahmen für das erwähnte Flickwerk, anstatt dass mutige Entscheide gefällt werden. Etwa generelle Spurabbauten, Sperrung der Innenstadt, Tempo 30 – und weitere Massnahmen, die zu einer Entspannung zwischen den Verkehrspartnern führen könnten.

Selbstverständlich müsste man den Autofahrenden klaren Wein einschenken, der Aufschrei wäre garantiert. Aber in anderen Städten hat das auch funktioniert.

«Jeder verantwortungsvolle Politiker müsste ehrlich sein, hinstehen und sagen, dass der Autoverkehr Hauptverursacher der Verkehrsmisere und der Staus ist.»

Mailand schloss seine Innenstadt von einem Tag auf den anderen, die niederländische Stadt Groningen machte dies vor bald fünfzig Jahren.

Die Niederlande kennen übrigens auch den höchsten Personenschutz, eine Person auf dem Velo umzufahren, ist teuer. In Zürich ist es nur das Züriblau der Trams, das teuer ist. Velofahrende umfahren darf man offenbar schon. Was für ein Zynismus!

Das Problem ist bekannt

So bewirtschaftet Zürich die Verkehrsprobleme und hätschelt und sediert die Verkehrsgruppen mit viel Geld. Die Rechte befeuert und alimentiert derweil die «arme» Autoklientel, was unter anderem zu solchen Aggressionsausbrüchen führt.

Jeder verantwortungsvolle Politiker müsste ehrlich sein, hinstehen und sagen, dass der Autoverkehr Hauptverursacher der Verkehrsmisere und der Staus ist. Jedes Velo trägt hingegen zur Verkehrsentlastung bei.

Und ja, in der Verfassung sollte auch verankert sein, dass der Schutz von Velofahrenden, von Leib und Leben, oberste Priorität geniesst.

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