Die Probleme der Fahrradbranche und Wege aus der Krise

Volle Lager und sinkende Absätze belasteten in den letzten zwei Jahren Nerven und Reserven von Velohändlern und Fahrradherstellern. Wie ernst ist die Lage der Velobranche und welche Lösungen gibt es?

Laurens van Rooijen, Autor

Laurens van Rooijen, Autor (lvr@cyclinfo.ch)
News, 09.01.2025

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Ende Oktober 2024 wurde die Schweizer Velobranche von der Meldung aufgeschreckt, wonach die Fertigung von E-Bikes am Flyer-Hauptsitz in Huttwil vor dem Ende steht. Der Grund dafür sind nach wie vor volle Lager und der Abverkauf der Lagerbestände, der sich im laufenden Jahr harziger gestaltete als erhofft.

Eine erste Restrukturierung, der schon vor einem Jahr über 80 Arbeitsplätze in Huttwil zum Opfer gefallen waren, hatte nicht ausgereicht, um Kosten und Einnahmen wieder in eine Balance zu bringen. Darum sprach die ZEG-Konzernzentrale ein Machtwort und verfügte die Einstellung der Fertigung von E-Bikes in Huttwil. Mit dem neuen Montagewerk von Kettler Alu E-Bikes im Saarland verfügt die ZEG schliesslich über einen erst vor Kurzem eröffneten Standort, der nicht ausgelastet ist.

Produktion verlagert sich

Zu ähnlichen Massnahmen greifen mit der Accell Group und PON Bike zwei der grössten Velo- und E-Bike-Produzenten Europas: Accell gab die Montage von Ghost Bikes im Bayrischen Waldsassen noch vor Ende 2023 auf, und am Firmensitz im Niederländischen Heerenveen wurde das separate Montagewerk für die Marke Koga geschlossen. Stattdessen werden die Velos der beiden betroffenen Marken nun in Accell-Fabriken in Ungarn und der Türkei montiert, wo auf Grund der nach wie vor schleppenden Nachfrage noch Kapazitäten vorhanden waren.

Ähnlich verhält es sich bei PON Bike, wo die Montage von Velos der Marken Cervélo und Santa Cruz ab April 2025 statt in Mainz im neuen Kalkhoff Bikes-Montagewerk im niedersächsischen Emstek erfolgen soll. Auch bei Pierer Mobility haben die Sparübungen längst auch das E-Bike-Segment erreicht.

«Die Lager sind voll: Bei über der Hälfte der Unternehmen reichen die Bestände für sechs Monate, bei einem Viertel sogar für neun.» 

Gunnar Fehlau – pressedienst fahrrad

Ob ZEG, Accell Group, Pierer Mobility oder PON Bike: Die Reduktion der Kosten und eine bessere Auslastung bestehender Fabriken liegen im Fokus – auch wenn dies bedeutet, dass dafür ein Standort aufgegeben werden muss. Beim Blick auf globale Lieferketten ist eine ähnliche Dynamik zu beobachten: Meist taiwanesische Hersteller verschieben einen Teil ihrer Produktion von China nach Vietnam.

Das bringt zolltechnisch handfeste Vorteile, und zudem ist die Produktion in Vietnam oft effizienter, weil viele Fabriken dort erst vor kurzem hochgezogen wurden. Dank neuster Maschinen, optimierter Grundrisse auf nur einem Stockwerk und der Erfahrung vieler Jahre industrieller Fertigung lassen sich die Produktion optimieren und Ausschuss reduzieren.

Betriebsmittel gehen aus

Die Kombination aus vollen Lagern, schleppender Nachfrage und Überkapazitäten bereitet der Veloindustrie rund um den Globus Kopfzerbrechen. Nach über zwei Jahren Betrieb im Standgas, gehen die Reserven bei vielen Unternehmen zur Neige, und die Banken sind bei der Vergabe von Betriebskrediten deutlich zurückhaltender geworden.

In Fernost zeigt sich das Problem darin, dass Fabriken ihre Belegschaft nicht mehr halten können, weil die Lohneinbussen zu lange anhalten. Als Folge droht eine Situation, in der eine anziehende Nachfrage wegen der reduzierten Kapazität der Lieferkette nicht oder nur mit langen Wartezeiten befriedigt werden kann. Experten sprechen hier von einem «reverse bullwhip».

Volle Lager, hohe Kosten

Statt dem aktuellen Überfluss an Handelsware käme es dann wieder zu Engpässen wie während der Pandemie. Viele Unternehmen in der DACH-Region sorgen sich in der Tat um die Lieferkette. Laut einer Studie des Beratungsunternehmens Staufen, das 209 Industrieunternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz befragte, leiden 68 Prozent dieser Unternehmen schon jetzt unter Engpässen.

45 Prozent beklagen zudem Qualitätsprobleme bei ihren Lieferanten und 39 Prozent der Studienteilnehmer kämpfen mit stark gestiegenen Transportkosten. Die Folgen globaler Krisen wie fragile Lieferketten und hohe Transportkosten setzen laut den Studienautoren den Unternahmen zu und erhöhen den Leidensdruck weiter.

«Wir planen für 2025 nochmals einen Mengenrückgang von 15 Prozent gegenüber 2024 und richten unsere Organisation darauf aus.» 

Anonym – GF E-Bike Hersteller

Kurzum: Es hakt an allen Ecken und Enden. Um den Ernst der Lage zu erfassen, haben Gunnar Fehlau und Mathias Heller als Director bei Roland Berger Impex von Mitte Juli bis Mitte August 34 Verantwortliche in der Geschäftsführung von Velo- und E-Bike-Produzenten in Deutschland, Österreich und der Schweiz befragt.

Die Resultate dieser Gespräche sind in die Studie «Europas Fahrradindustrie im Krisenmodus» eingeflossen. Diese zeigt: Die Warenlager sind nach wie vor übervoll: Bei über der Hälfte der befragten Unternehmen reichen die Lagerbestände für die kommenden sechs Monate aus, und bei einem Viertel gar für neun Monate. Dies zieht Mehrkosten und eine Erosion der Margen wegen Rabattschlachten nach sich. Eine echte Verbesserung der Lage erwarten die meisten der befragten Unternehmen frühestens in der zweiten Hälfte des Jahres 2025.

Beschränkung statt Vielfalt

Umso wichtiger ist es darum, die Kosten im Griff zu behalten, die Liquidität durch den Abbau der Lagerbestände sicher zu stellen und die Effizienz im Unternehmen zu optimieren. Werden Probleme zu lange ignoriert, sind die Folgekosten umso grösser. 

Darum ist laut den Autoren der Studie eine zeitnahe und konsequente Reaktion gefragt: Ausser strikter Kostendisziplin, die auch Miete und Versicherungen betrifft, der Optimierung des Arbeitskapitals und der Eliminierung von Leerläufen drängt sich eine klare Positionierung auf. Ob Hersteller oder stationärer Fachhandel: Niemand kann alles bieten und alle Bedürfnisse abdecken. Ein logischer Schritt liegt in einer Beschränkung auf Felder, in denen man wirklich über Kompetenz verfügt.

Fokus statt Überangebot

Dass ein zu breites Sortiment entlang der Lieferkette für Mehrkosten sorgt und die Kundschaft überfordert, hat der US-Anbieter Trek gemerkt – und im Frühjahr 2024 eine Reduktion der Anzahl Modellen pro Baureihe angekündigt. Doch damit ist es noch nicht getan.

Eine Lehre der vergangenen Jahre für die Velobranche muss lauten, dass die Bedarfsplanung deutlich smarter und reaktiver werden muss. Statt Lagerhallen mit Ware zu füllen, die sich allenfalls mit satten Rabatten verkaufen lässt, sollte der Datenaustausch entlang der Liefer- und Wertschöpfungsketten deutlich intensiviert werden. Nur wenn verlässliche Angaben zum Abverkauf verfügbar sind, wird eine auf der realen Nachfrage basierende Produktion überhaupt machbar.

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