Himmelfahrtskommando

«Im Feld» ist mehr als ein Roman über das Radfahren. Das Buch ist auch eine Soziologie der Untertanen in der Leistungsgesellschaft.

Dres Balmer, Autor

Dres Balmer, Autor (dres.balmer@bluewin.ch)
Unterhaltung, Kultur, 20.01.2021

Dem Doktor Frank Staiger ist seine Lehrstelle an der Universität längst verleidet, und der populärwissenschaftlichen Vorträge, die er hier und dort hält, ist er auch überdrüssig. Es folgt die Sinnkrise. Franks Frau Susan findet in der Zeitung die Anzeige eines Veloclubs, der einlädt zur Rundfahrt an Christi Himmelfahrt im Mai – auch Nichtmitglieder. Frank hat ein Rennrad, braucht es aber kaum. Susan ermutigt ihn zur Teilnahme an der Ausfahrt.

Er radelt zum Treffpunkt am Heidegger-Denkmal in Freiburg im Breisgau, gerät sogleich in dieses eigenartige Milieu der Gümmeler, die sich mit dem Markennamen ihres jeweiligen Velos anreden, also nun «Storck, Klein, Look, Trek oder Ghost» heissen. Schon sind da «taxierende Blicke auf technische Details: auf Rahmen, Laufräder und Schaltung. Blicke dieser Art. Radfahrerblicke».

Das neidische Gerangel der einfältigen Sportler, ihre während des Radelns elektronische Beschäftigung mit Pulsfrequenzen, Wattzahlen und Steigungen, jeder, der hie und da mitfährt in einem «geschlossenen Verband», kennt den Zirkus. Hier ist er so gnadenlos und repetitiv beschrieben, dass auch der Leser in einen bizarren Taumel gerät.

Über das Radfahrerische hinaus ist «Im Feld» eine  Soziologie der Untertanen in der Leistungsgesellschaft.

Da ist der Gruppenführer namens Landauer. Der schaut ganz gut zu seinen Leuten, lässt sich zurückfallen, um den Letzten wieder heranzuführen, findet für Leidende Worte der Ermutigung. Andererseits ist er so gnadenlos, dass er Stunde um Stunde nicht einmal eine Pause gewährt, um die Bidons zu füllen, er lässt die Menschen verdursten. Wer aufgibt, verdrückt sich hinter einer Hausecke, unter denen, die sich weiterquälen, verbreitet sich widerspruchlose Hörigkeit.

Geplant war eine Fahrt von Freiburg  in die Vogesen und zurück, 175 Kilometer. Doch Landauer erweitert den Parcours um einige Pässe, macht auf der Heimfahrt einen Abstecher in den Schwarzwald, und so werden es nun 345 Kilometer. Während der letzten Stunden wird Christi Himmelfahrt zum Himmelfahrtskommando. Ein Drittel des Feldes hat aufgegeben, die übriggebliebenen Fahrer kommen halbtot an.

Über das Radfahrerische hinaus ist «Im Feld» eine  Soziologie der Untertanen in der Leistungsgesellschaft.

Joachim Zelter, Im Feld. Roman einer Obsession. Klöpfer, Klöpfer-Narr Verlag, Tübingen 2020, Preis: Fr. 26.90.